Pressemitteilung
- Elektrifizierung, Inflation, gestörte Lieferketten, Digitalisierung und mehr zwingen Automobilzulieferer zu raschem Handeln
- Rund 55 Prozent der Neuwagen in Europa werden bereits 2030 mit elektrischem Antrieb fahren
- Bis 2035 entfallen mehr als ein Drittel der Gewinne auf neue Geschäftsfelder wie softwarebasierte Services, E/E-Komponenten und Mobility-as-a-Service
- Mit striktem Cash-Management, operativer Exzellenz, stringentem Preismanagement und Nachhaltigkeit lassen sich Marktposition und Profitabilität absichern
Nach Jahren profitablen Wachstums erleben Automobilzulieferer weltweit turbulente Zeiten. Mehr noch: Über der Branche braut sich ein heftiger Sturm zusammen. Die Elektrifizierung der Antriebe beschleunigt sich, die Material- und Energiekosten steigen rasant und die geopolitischen Spannungen sowie ihre Folgen für die Lieferketten halten an. Parallel dazu gilt es den Anforderungen der Digitalisierung und Dekarbonisierung gerecht zu werden. Tatsächlich ist die Zahl zeitgleich auftretender Erschütterungen derzeit höher denn je (Abbildung). In ihrer aktuellen Analyse zeigt die internationale Unternehmensberatung Bain & Company auf, wie die Automobilzulieferer diese Herausforderungen meistern können und trotz der schwierigen Rahmenbedingungen wettbewerbsfähig bleiben.
EBIT-Marge unter Druck
„Das Fundament der Automobilzulieferbranche ist gefährdet“, konstatiert Bain-Partner Dr. Klaus Stricker, Co-Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität. „Nur wenn die Unternehmen ihre Geschäftsmodelle umgehend an die neuen Realitäten anpassen, werden sie auf Dauer am Markt bestehen.“ Wie groß der Druck ist, hat sich bereits im Jahresverlauf 2021 gezeigt. So fiel die durchschnittliche EBIT-Marge der Automobilzulieferer innerhalb von vier Quartalen um mehr als 3 Prozentpunkte auf unter 6 Prozent und sank damit unter das Niveau führender Autobauer – in der Regel ist sie 1 bis 2 Prozentpunkte höher als die der Hersteller.
„Die Zulieferer leiden gleichzeitig unter Lieferengpässen, den steigenden Kosten für Vorprodukte sowie der Inflation“, erklärt Stricker den Margenrückgang. „Während die Automobilhersteller sich in der aktuellen Situation auf höherwertige Produkte konzentrieren und geringere Endkundenrabatte geben, sind die Zulieferer dem oft unverändert hohen Preisdruck der Autobauer ausgesetzt.“
Geschäftsmodell fit machen
Die rückläufigen Margen treffen die Branche zu einer Zeit, in der Elektrifizierung und Digitalisierung massive zusätzliche Aufwendungen erfordern. Jüngsten Bain-Prognosen zufolge werden im Jahr 2030 in Europa rund 55 Prozent der Neuwagen mit elektrischem Antrieb fahren, bis 2035 dürften es über 90 Prozent sein. Dann werden auch in China und den USA die meisten neuen Pkw emissionsfrei auf den Straßen rollen. „Europa und China geben den Takt bei der Elektrifizierung vor“, erklärt Markus Bürgin, Bain-Partner und weltweiter Leiter des Zulieferergeschäfts in der Praxisgruppe Automotive und Mobilität. „Zulieferern bleiben jetzt nur noch wenige Jahre, um ihr Geschäftsmodell fit für die Ära der Elektromobilität zu machen.“ Entsprechend groß sei die Anspannung in der Branche.
Gleichzeitig muss den Unternehmen die Umstellung von hard- auf softwarebasierte Geschäftsfelder gelingen. Laut Bain-Analysen werden in der Zuliefererbranche elektrische Komponenten, Software und digitale Services bereits in den nächsten Jahren zu den wichtigsten Umsatztreibern gehören. Hinzu kommt, dass ihr Anteil am Profit dank höherer Margen überproportional steigen wird. Bain schätzt, dass 2035 bereits mehr als ein Drittel der Gewinne auf neue Geschäftsfelder wie softwarebasierte Services, Elektrik/Elektronik-Komponenten und Mobility-as-a-Service (MaaS) entfällt. Ob die Automobilzulieferer hiervon allerdings in vollem Umfang profitieren, ist längst noch nicht ausgemacht. Große Technologiekonzerne arbeiten seit Längerem an Softwarelösungen für die Elektronikarchitektur des Autos und drängen auf den Markt. Branchenbeobachter Bürgin erklärt: „Wenn die traditionellen Zulieferer nicht unverzüglich handeln, laufen sie Gefahr, an Stellenwert zu verlieren. An ihrer Stelle können Technologieanbieter zu Tier-1-Lieferanten werden.“
Wettbewerbsfähigkeit bewahren
Automobilzulieferer benötigen einen integrierten Ansatz, um Marktposition und Profitabilität angesichts der herausfordernden Rahmenbedingungen zu verteidigen. Vier Stellhebel sind dabei entscheidend:
- Striktes Cash-Management. Die Sicherung der Liquidität hat oberste Priorität in Krisenzeiten, um Stabilität und Unabhängigkeit zu gewährleisten. Mit einem „Cash-Kontrollturm“, einer detaillierten Planung sowie einer zentralen Steuerung sämtlicher Zahlungsflüsse schaffen sich Automobilzulieferer binnen kurzer Zeit mehr finanziellen Spielraum.
- Operative Exzellenz. Mit einem breit gefächerten Maßnahmenbündel über Einkauf, Produktion, Verwaltung und Lieferkette hinweg können Zulieferer in der Regel ihre EBIT-Marge um mehrere Prozentpunkte steigern. Dies ist essenziell, um ihre Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.
- Kommerzielle Exzellenz. Vorreitern in der Branche gelingt es, bis zu 70 Prozent ihrer vorleistungs- und inflationsbedingten Mehrkosten an die Autobauer weiterzugeben. Dazu gilt es sich gezielt auf Verhandlungen vorzubereiten – mit umfassender Transparenz, was Kosten nach Warengruppe, Produktprogramm und Hersteller angeht.
- Strategische Ausrichtung auf Nachhaltigkeit. Um längerfristig zu profitablem Wachstum zurückkehren zu können, müssen die Automobilzulieferer ihre Strategie konsequent weiterentwickeln, verschiedene Szenarien durchspielen und daraus Konsequenzen für ihr Portfolio ziehen. Mit der Dekarbonisierung beginnt eine neue Ära für die Branche.
Bain-Partner Stricker unterstreicht die zentrale Bedeutung einer Nachhaltigkeitsstrategie: „Die Zukunft der Automobilzulieferer hängt davon ab, ob und wie schnell sie es schaffen, emissionsneutral zu wirtschaften.“ Kurzfristig habe jedes Unternehmen alles daranzusetzen, seine Liquidität zu sichern und die eigenen Kosten zu senken. Und er fügt hinzu: „Ähnlich wie für die Hersteller gilt es auch für die Automobilzulieferer, sich unter hohem Zeitdruck neu zu erfinden. Einigen ist dies bereits gut gelungen. Doch viele haben noch einen weiten Weg vor sich.“