Brief
Raus aus dem Jammertal: Mit einer konsequenten Ausrichtung an den Bedürfnissen und Erwartungen der Kunden können Versicherer den Umbruch am Markt meistern. Doch eine Bain-Umfrage unter mehr als 2.500 Privatkunden offenbart noch erhebliche Defizite. Fünf Erfolgsfaktoren helfen Anbietern, gezielt gegenzusteuern.
Unter Deutschlands Versicherungsgesellschaften macht sich Ernüchterung breit: Die Beitragseinnahmen stagnieren bzw. sinken sogar, der Wettbewerbsdruck in allen Sparten steigt und die Regulierungsdichte wächst. Dazu trifft die Digitalisierung die Branche mit voller Wucht. Daher müssen die Unternehmen einen weitreichenden Umbau ihrer Geschäftsmodelle bewältigen. Viele Anbieter reagieren auf dieses Umfeld mit einem strikten Sparkurs und verlieren dabei ihr wichtigstes Kapital aus den Augen: ihre Kunden.
Die Zahl der unzufriedenen Kunden überwiegt
In der Folge steigen die Unzufriedenheit und der Wechselwille auf Kundenseite. Wie zufrieden die Bundesbürger mit ihren Versicherern wirklich sind, was sie kritisieren und was ihre Loyalität fördert, enthüllt eine Bain-Umfrage unter mehr als 2.500 Privatkunden. Das erste Ergebnis ist ernüchternd: Der von Bain über alle Versicherungen hinweg erhobene Net Promoter® Score (NPS) zur Messung der Kundenloyalität liegt bei minus 8 Prozent. Dies bedeutet: Es gibt deutlich mehr Kritiker als Promotoren, also besonders begeisterte und loyale Kunden. Dies gilt allerdings weder für alle Unternehmen noch zu jedem Zeitpunkt. Insbesondere Direktversicherern gelingt es vergleichsweise gut, die spezifischen Bedürfnisse ihrer Kunden weitgehend zu erfüllen. Auch gibt es bei allen Unternehmen begeisterte Kunden, typischerweise mit mehreren Verträgen. Und noch ein Ergebnis macht Hoffnung: Die Befragten, die erst vor kurzem Kontakt mit ihrem Anbieter hatten, äußerten sich deutlich positiver als andere – dies gilt für eine Schadenmeldung genauso wie für einen Vertragsabschluss oder auch nur eine Adressänderung.
Viele Kunden fühlen sich allein gelassen und missverstanden
Die Umfrage bietet mehrere Erklärungsansätze, warum es ungeachtet der stark verbesserten operativen Exzellenz vieler Versicherer zu einem insgesamt so enttäuschenden Ergebnis kommt. Viele Kunden fühlen sich von ihrer Versicherung allein gelassen; nach einem Vertragsabschluss herrscht zum Teil jahrelange Funkstille. Zudem verstehen zahlreiche Versicherte die Positionierung und das Leistungsversprechen ihres Anbieters nicht. Darüber hinaus klafft eine zum Teil erhebliche Lücke zwischen den eigentlichen Bedürfnissen der Versicherten und dem tatsächlichen Angebot. Während die Kunden in erster Linie Fairness, individuelle Betreuung und einen empathischen Service bei jeder Interaktion erwarten, setzen die Anbieter auf günstige Tarife und schlanke Strukturen. Dieser „falsch geeichte Kompass“ führt dazu, dass die Erwartungen der Kunden unerfüllt bleiben und in der Folge deren Unzufriedenheit wächst. Das hat gravierende wirtschaftliche Konsequenzen: Denn Promotoren halten mehr Produkte, bleiben länger und empfehlen ihren Anbieter häufiger weiter.
Fünf Erfolgsfaktoren, um die Versicherten wieder stärker zu begeistern
Um die Kluft zwischen operativer Exzellenz und messbarer Unzufriedenheit zu überwinden, müssen die Versicherungsanbieter wieder lernen, ihre bestehende Kundenbasis zu begeistern. Durch eine konsequente Ausrichtung der gesamten Organisation an den Bedürfnissen und Erwartungen der Kunden lässt sich Schritt für Schritt deren Loyalität steigern. Die vorliegende Studie nennt hierzu fünf Erfolgsfaktoren:
- Klare Positionierung und Emotionalisierung der Marke
- Maximaler Kundenfokus, mit dem Ziel, Versicherte bei jeder Interaktion zu begeistern
- Integration der On- und Offline-Welt durch einen konsequenten Omni-Channel-Ansatz
- Stärkung des Ausschließlichkeitsvertriebs und Sicherstellung von dessen Zukunftsfähigkeit
- Mobilisierung und Qualifizierung des Innen- und Außendienstes
Bei all diesen Erfolgsfaktoren müssen die Versicherer einen tiefgreifenden Wandel im Kundenverhalten beachten: In der Bain-Umfrage erklärten jeweils rund 60 Prozent der Bundesbürger, dass das Internet künftig der wichtigste Kanal bei einer Interaktion mit einer Versicherung sei. Dies gelte für den gesamten Lebenszyklus des Versicherten, von der Beratung über den Vertragsabschluss, bis hin zur Meldung und Verwaltung eines Schadens. Das Vordringen digitaler Plattformen reduziert aber keineswegs das Bedürfnis nach individueller Betreuung, denn für 72 Prozent der Befragten ist die persönliche Beratung wichtig oder sogar sehr wichtig.
Der enorme Wert der Agenturen und anderer Vermittler
Insbesondere die Ausschließlichkeitsorganisation wird vor diesem Hintergrund in den kommenden Jahren eine Renaissance erleben. Es bedarf allerdings einer stärkeren Einbindung der Agenturen in die Strukturen der Versicherer, um dem Kundenwunsch nach virtueller und zugleich persönlicher Betreuung entsprechen zu können. Und auch die Vermittler müssen akzeptieren, dass sie in einem solchen Umfeld nicht mehr isoliert agieren dürfen, sondern ihren Kunden neben einem empathischen Service vor Ort auch ein breites Spektrum von Online- Diensten anbieten müssen. Auch für andere Vertriebsformen, wie die Makler, eröffnen sich neue Chancen, da auch sie von der Nähe zum Kunden und dessen Betreuungsbedarf profitieren können. Für die Versicherer wird es darauf ankommen, alle externen Vertriebskanäle als Ohr zum Kunden zu nutzen und spezifisch und bestmöglich zu unterstützen.
Die Symbiose zwischen Versicherern und Agenturen bzw. Maklern besteht im digitalen Zeitalter fort. Die Vermittler vor Ort bleiben der zentrale Dreh- und Angelpunkt für die Kundenbeziehung. Beide, sowohl Außen- als auch Innendienst, müssen den Kunden wieder in den Mittelpunkt ihres Handelns rücken und dessen Loyalität stärken. Dies erfordert eine konsequente Ausrichtung der Betreuung, der Services und der Prozesse an den Kundenbedürfnissen. Auf dem Weg dorthin gilt es für die Versicherer, die Kundenloyalität durchgängig zu messen und auf dieser Basis Lern- und Veränderungsprozesse zu etablieren. Je größer die Zufriedenheit im Kundenbestand, desto geringer die Bedrohung durch wechselwillige Kunden und veränderte Rahmenbedingungen. Denn die Bundesbürger werden auch in Zukunft nicht auf ihren Schutz gegen Unfälle, Krankheiten, Gerichtsverfahren und andere Unwägbarkeiten des Lebens verzichten.
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