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Totgesagte leben länger. Diese Redensart trifft für die Versicherungsbranche mehr denn je zu. Denn lange wurde der Ausschließlichkeitsorganisation mit Blick auf die digitale Revolution ein schleichender Bedeutungsverlust prognostiziert. Die neueste Auflage des Vertriebsbenchmarkings von Bain & Company zeichnet jedoch ein anderes Bild. Danach ist die Ausschließlichkeitsorganisation unverändert der wichtigste Kanal für das Neugeschäft und liegt bei der Bruttoschadenquote 10 Prozentpunkte unter dem Niveau des Maklerkanals. Zudem entspricht sie dem Wunsch vieler Versicherungsnehmer nach persönlichem Kontakt, wenn sie einen Vertrag abschließen und verlängern wollen.
Digitalisierungsstrategie im Fokus
Dieses Ergebnis sollte die Anbieter aber auf keinesfalls verleiten, alles beim Alten zu lassen. Denn in der Regel ist mittlerweile mehr als die Hälfte ihrer Kunden auch online aktiv. Drei von vier jüngeren Versicherten sind darüber hinaus offen für Angebote von Branchenneulingen, insbesondere von Technologieunternehmen. Das Gros der am Benchmarking beteiligten Unternehmen verfügt inzwischen über eine klar definierte digitale Strategie. Ihr Ziel ist eine vollumfassend integrierte, nahtlose Kundenreise über alle Offline- und Onlinekanäle sowie Etappen der Kundenreise hinweg.
So groß die Bereitschaft in der Theorie ist, so schwierig gestaltet sich die Digitalisierung in der Praxis. Nur gut die Hälfte der Vertriebe hat bisher eine am Geschäftsvorhaben orientierte Datenstrategie – und damit eine Strategie für den Umgang mit dem entscheidenden Rohstoff des digitalen Zeitalters. Auch bei der Integration innovativer Technologien wie Internet der Dinge, Robotik, maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz und virtuelle Realität gibt es Defizite. Erst 30 Prozent der befragten Vertriebe haben dafür einen konkreten Plan.
Vertriebstalente gesucht
Mit digitalen Tools allein lassen sich die Kunden im Internetzeitalter jedoch nicht überzeugen. Vertriebstalente in den Agenturen sind unverändert gefragt. In den vergangenen fünf Jahren sank die Vermittlerbasis jährlich um durchschnittlich 3 Prozent. Dennoch liegt das Durchschnittsalter in der Ausschließlichkeitsorganisation derzeit bei knapp 50 Jahren. Eine Verjüngung in absehbarer Zeit ist daher unabdingbar.
Die Auswahl der richtigen Vertriebstalente verlangt viel Fingerspitzengefühl. Derzeit generieren die besten 13 Prozent der Vermittler den Benchmarkingergebnissen zufolge durchschnittlich 40 Prozent des Neugeschäfts. Um die Produktivität zu steigern, setzen viele Versicherer auf größere Agenturen, der Anteil der Untervermittler nimmt von Jahr zu Jahr zu. Dieser Trend dürfte sich nicht zuletzt mit Blick auf die immer schärfere Regulierung fortsetzen.
Gefahr des Ablebens gebannt
Persönlich, digital unterstützt und effizient. Dieser Dreiklang wird die Ausschließlichkeitsorganisation in den kommenden Jahren prägen. Die Versicherer müssen hierzu dem Vermittlerschwund entgegenwirken und vermehrt in das Training ihrer Vermittler investieren. Zudem sollten sie ihre Digitalisierung konsequent vorantreiben und ihre Ausschließlichkeitsorganisation mit allen anderen Vertriebskanälen vernetzen. Bauen sie dann noch bestehende Agenturen aus, ist die Gefahr des allmählichen Ablebens der Ausschließlichkeitsorganisation auf Jahre gebannt.
Der Autorenbeitrag ist im Mai 2019 in der „Versicherungswirtschaft“ erschienen.