Brief
Auf einen Blick
- Fahrassistenzsysteme reduzieren die Aftersales-Umsätze in den fünf großen europäischen Märkten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien bis 2035 um 3,7 Prozent, durch den zunehmenden Anteil an Elektrofahrzeugen sinken sie um weitere 1,9 Prozent.
- Bis 2035 werden diese negativen Effekte durch den wachsenden Fahrzeugbestand kompensiert. Danach beginnt der Aftersales-Markt in Westeuropa zu schrumpfen, da sich die Zahl der Autos mit Fahrassistenz und Elektroantrieb immer mehr erhöht.
- In den kommenden Jahren gerät in Westeuropa insbesondere der Gewinn der Hersteller und ihrer angeschlossenen Servicebetriebe unter Druck.
- Hersteller und Servicebetriebe können gegensteuern, indem sie die Kundenloyalität verbessern, Werkstattnetze anpassen, das Leistungsspektrum erweitern und das Pricing optimieren.
In der Vergangenheit ist das Aftersales-Geschäft stetig gewachsen und war auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie der globalen Finanzkrise 2008/2009 ein Garant für stabile Einnahmen. Doch nun kommt es zu einschneidenden Veränderungen. Kurzfristig trifft die Corona-Pandemie den Aftersales-Markt mit voller Wucht. Während des Lockdowns reduzierte sich in Westeuropa die Fahrleistung um 10 bis 15 Prozent – entsprechend deutlich wird der Umsatz mit Reparaturen, Wartungen und Ersatzteilen im Gesamtjahr 2020 zurückgehen. Eine Erholung zeichnet sich nur langsam ab. Denn die Anzahl an neu zugelassenen Fahrzeugen liegt um mehr als 20 Prozent unter den ursprünglichen Erwartungen – und diese Fahrzeuge fehlen dann auch im Aftersales.
Doch die kurzfristigen Verwerfungen in diesem bislang so stabilen und lukrativen Markt sind erst der Anfang. Sie überdecken einen längerfristigen, für alle Beteiligten noch bedrohlicheren Trend: Die Serviceumsätze pro Pkw gehen signifikant und nachhaltig zurück. Neben der stetigen Qualitätsverbesserung der Fahrzeuge sind dafür in den kommenden Jahren vor allem die wachsende Verbreitung von Fahrassistenzsystemen und nach 2030 zunehmend auch die Elektrifizierung des Antriebsstrangs verantwortlich. Damit wirken sich zwei der fünf Megatrends im Automobil- und Mobilitätssektor, von Bain als „5 RACES“ bezeichnet, negativ auf das Aftersales-Geschäft aus. Wie hoch die Einbußen sind, hat Bain für die großen europäischen Märkte Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien bis zum Jahr 2035 analysiert.
Fahrassistenzsysteme reduzieren Aftersales-Umsatz deutlich
Die Prognose bis zum Jahr 2035 widerlegt die weitverbreitete Auffassung, nach der bereits in den kommenden Jahren eine wachsende Zahl von Elektrofahrzeugen das Aftersales-Geschäft unter Druck setzen wird. Bis 2035 wird dies voraussichtlich zu einem Umsatzrückgang von rund 2 Prozent führen. Einen beinahe doppelt so hohen Effekt mit minus 3,7 Prozent hat bis dahin die durch Fahrassistenzsysteme zunehmende Automatisierung der Autos (Abbildung). Schon die heute verfügbaren, bei fast jedem dritten Neufahrzeug eingesetzten Systeme (typischerweise Level 1 und Level 2) verhindern Unfälle oder mindern deren Folgen sehr effektiv, indem sie frühzeitig vor Gefahren warnen oder automatisch eingreifen. Level 2 etwa senkt die Unfallwahrscheinlichkeit um 30 Prozent und die Schwere von Unfällen um 10 Prozent.
Marktteilnehmer müssen reagieren
Das Aftersales-Geschäft steht damit vor einem tiefgreifenden Wandel. Je früher sich die Marktteilnehmer mit den neuen Rahmenbedingungen auseinandersetzen, desto besser können sie ihr Geschäft umstellen und ihre Erträge schützen. Insbesondere Servicebetriebe mit Herstellerverträgen und einer schon heute angespannten Ertragslage werden zunehmend in ihrer Existenz bedroht sein. Sie benötigen umfassende strukturelle Veränderungen, um auch in der nächsten Dekade wettbewerbsfähig sein zu können.
Letztlich sind die Herausforderungen aber für alle Beteiligten groß. Sie müssen handeln und sich dabei unterschiedlichste Aufgaben stellen.
- Automobilhersteller: Kundenloyalität stärken und Leistungsspektrum erweitern.
- Servicebetriebe: Kunden binden, Kosten senken und neue Erträge generieren.
- Unabhängige Werkstätten: Kosten optimieren und Serviceportfolio erneuern.
- Zulieferer: Vertrieb ausbauen, neue Geschäftsfelder erschließen.
Sich vom stillen Fluch der Fahrassistenzsysteme befreien
Die Bain-Prognose zeigt: Das Aftersales-Geschäft gerät ins Stocken. Speziell der zunehmende Einbau von Fahrassistenzsystemen setzt in den nächsten Jahren dieses bislang so stabile und lukrative Geschäftsfeld unter Druck. Zudem kämpfen erste Marktteilnehmer wegen der Elektrifizierung des Antriebsstrangs bereits mit Umsatzverlusten. Dies gilt vor allem für Zulieferer nicht mehr benötigter Komponenten. Nach 2030 wirkt sich die wachsende Zahl von Elektrofahrzeugen immer stärker auf den Gesamtmarkt aus. Vor diesem Hintergrund gilt es für alle Beteiligten, Strukturen und Kosten schon heute an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Noch konsequenter als bisher sollten brachliegende Ertragspotenziale erschlossen und neue Chancen wahrgenommen werden. Das Spektrum reicht von Versicherungen über das Reifengeschäft bis hin zu Hilfeleistungen, die beim Aufbau einer privaten Ladeinfrastruktur erbracht werden. Wer sich mit solchen Ansätzen im Servicegeschäft strategisch richtig aufstellt, wird sich vom stillen Fluch der Fahrassistenzsysteme besser befreien als andere.